EMMA

 

Auf einem Hof, der irgendwo zwischen saftig grünen Wiesen in der Nähe der großen Berge lag, lebte das Huhn Emma.

Emma war schon immer etwas Besonderes gewesen. Als Küken war sie so schwächlich, dass der Hühnerbauer ihr keine großen Chancen einräumte zu überleben. Aber Emma gab nicht auf und obwohl alle anderen Hühner auf dem Hof, sich nicht so besonders um Emma kümmerten, erholte sich dieses kleine Küken aus eigener Kraft und wurde mit der Zeit ein genau so kräftiges Huhn wie all die Anderen.

 

Den Hühnern auf diesem Hof war das ein kleines bisschen suspekt, denn normalerweise verkümmerten die Schwachen unter ihnen und konnten auch immer so schön herum geschubst werden. Vor allem wenn der Bauer mit dem Futter kam und sie sich alle laut gackernd auf die Körner stürzen konnten. Aber Emma war da irgendwie ein kleines bisschen anders. Sie lernte auch zu scharren und zu picken was das Zeug hielt und sie konnte lautstark mit den Anderen um die Wette gackern. Oh ja, das konnte Emma, denn in der Gemeinschaft ist man stark, man muss nur ordentlich mit den Anderen mitmachen - dann gehört man dazu. Auch bei den Hühnern.

 

Aber immer wieder geschah es, dass Emma verträumt hinter dem Hühnerzaun stand und sehnsüchtig zu den Bergen schaute. Sie wusste gar nicht so recht, warum ihr das immer wieder passierte, aber da war etwas in ihrem kleinen Herzen, dass sie innerlich manchmal zittern ließ. Manchmal wurde sie bei ihren Träumereien erwischt und dann hieß es gackernd:" Was guckst du zu den Bergen? Da kommst du nie hin!" Oder: " Du dummes Huhn! Komm scharren und picken, was anderes können wir Hühner nicht!" So ging das immer wieder. Die ersten Male war Emma ganz verschämt und sie träumte nur noch heimlich vor sich hin, damit keiner mehr auf ihr herum hackte. Aber innerlich wurde sie immer widerspenstiger, weil doch die Sehnsucht nach etwas Unbekanntem in ihr immer größer wurde. Dieses Hin und Her war für sie wirklich schwer. Und eines Tages sah Emma etwas am großen weiten Himmel, dass ihr kleines Herz vor Aufregung ganz wild zu klopfen anfing: Da war ein großer stolzer Vogel, der mit weiten Schwingen hoch oben am Himmel über den Bergen seine Kreise drehte!

Das war es! Emma wollte fliegen!

Jetzt war ihr alles egal! Sie stellte sich vor die Hühnerschar, die sie mit kleinen argwöhnischen Äuglein begaffte und sagte:" Ich will `raus aus diesem Hof! Ich will die Welt sehen! Ich will fliegen!"

 

Da brach ein gackernder Tumult los! Einge Hühner schimpften in den höchsten Tönen und schlugen sich vor Empörung mit den kleinen Stummelflügeln vor die Brust, aber die meisten fielen vor lauter Gegacker einfach um und wälzten sich mit ihren kleinen dicken Körpern vor Lachen im Hühnermist.

 

Aber Emma war das alles so egal, sie hockte sich auf die Hühnerleiter und dachte fieberhaft darüber nach, wer ihr helfen könnte. Sie war nicht dumm, sie wusste schon, dass sie irgenwie Hilfe brauchte. Da fiel ihr Johanna ein, die kluge alte Eule - die hatte bestimmt einen Rat. Nachts schlich sich Emma dann zu dem Baum auf dem Johanna wohnte und hatte eine langes ernstes Gespräch mit ihr.

 

Und von da an sahen die anderen Hühner wie Emma stundenlang die Hühnerleiter `rauf kletterte, nur um von oben dann wieder herunter zu plumpsen. Tagein tagaus kletterte sie da hoch und ließ sich erst von der dritten Sprosse fallen und dann von der siebten und dann von ganz oben. Sie schlug mit den Flügelchen und strampelte mit den Beinchen und versuchte einfach in der Luft zu bleiben. Emma versuchte fliegen zu lernen. Das gackernde Federvieh wollte sich schier kaputtlachen und war mit Hohn und Spott nicht gerade sparsam:" Ach du dickes Huhn, guckt euch das an!" Oder: "Emma, sollten wir vielleicht schon mal fliegende Eier legen?" Und daraufhin kreischte die ganze Hühnerschar. Selbst Günter, das Hausschwein, versuchte Emma von ihrem Vorhaben abzubringen:" Emma, das hat doch keinen Sinn - deine Flügel werden nicht wachsen." Aber Emma war das alles egal. Sollten sie doch gackern und schimpfen, sollten sie doch vor Wut platzen oder vor Lachen tot umfallen - Emma hatte einen Plan!!

 

Stundenlang hatte sie mit der Eule Johanna darüber geredet und Johanna hatte ihr Mut gemacht und sie bestärkt und gesagt:" Meine liebe Emma, wenn Du etwas erreichen willst, musst Du etwas dafür tun. Und du musst es wollen - mit ganzem Herzen und mit all deinem Leben. Trainiere dich, geh und übe dich. Trainiere deinen Körper und deinen Geist, bereite dich vor und teste tagtäglich ob du das wirklich willst. Schau hinauf zum Adler und halte dir bei all deinen Strapazen und Mühen vor Augen wo dein Ziel ist und wenn du nicht aufgibst und an dich glaubst, dann wird dir auch Hilfe zuteil." Und dann hatte sie Emma noch ein Geheimnis verraten!

 

So hatte Johanna gesprochen und Emma brannte seitdem lichterloh! Nichts konnte sie mehr aufhalten und selbst die Hühner auf dem Hof merkten das irgendwann.Sie begannen sogar ein bisschen neidisch zu werden, denn sie sahen, dass Emma immer durchtrainierter wurde und sie konnte sich tatsächlich auch schon länger in der Luft halten! Unglaublich!

 

Und dann eines Tages passierte es: Emma packte ihr kleines Bündel und spazierte vor den Augen der gaffenden Hühnerschar zum Tor hinaus! "Wo wollst du denn hin, du dummes Huhn? Dort draußen kommst du um!" gackerten sie um die Wette. Aber Emma drehte sich noch ein letztes mal zu ihnen um und antwortete selbstsicher und strahlend:" Die Eule Johanna hat mir ein Geheimnis verraten. Ich bin zwar noch ein Huhn, aber ich habe trainiert, ich bin fleißig, ich weiß was ich will und ich weiß, dass

ich mein Ziel erreiche. Mir ist es egal was ihr von mir denkt und ich habe entschieden, dass nur ICH mein Leben leben kann! Ich habe mir von der Eule Johanna Hilfe geholt und ihren Rat beherzigt. Und jetzt gehe ich zu dem letzten Geheimnis!

Und die sprachlosen Hühner sahen wie Emma in Riesensätzen wie kein Huhn auf der Welt sie vollbringen kann, losspurtete und dabei glücklich schrie:

"Ich bin ja schon ein Adler! Jetzt laufe ich zu Karin und Klaus und die zeigen mir wie ich ein großer Adler werde! Ich bin frei!!

Yiipppeeeehhhhhh !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!"

von Sabine Marthiensen